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Inhalt
Ein Geburtstagswunsch
Vor Zeiten grüner Schatten

1 000 Euro Spende für ein Frauenhaus
Weltfrauentag: Kein Zwang zu Mann und Kindern

Humanismus 4.0
Virensicherer Neustart eines zerhackten Programms

Einmal verheiratet - immer geschieden
Die Logik öffentlicher Verwaltungsbürokratien

Kulturfraktur
Benehmen to go


17. Mai 2021 Ein Geburtstagswunsch
Vor dem Hereinbrechen grüner Schatten

Drei gesellschaftlich und politisch inzwischen verfestigte Selbstverständlichkeiten gehen mir zunehmend auf den Sack:

National die Einstellung, am deutschen Wesen hat die Welt zu genesen. Die Vorstellung, wenn alle Länder sich so demokratisch, tolerant, sozial gerecht und umweltbewusst verhalten wie Deutschland, ist die Welt gerettet. Und dazu noch das verbissene Festhalten an dieser bekloppten Idee. Anstatt mal zu begreifen, dass andere nicht automatisch so leben wollen wie wir. Die Taliban in Afghanistan nicht, aber auch nicht die Engländer, Amerikaner, Russen, Brasilianer. Und die Chinesen erst recht nicht. Lassen wir doch alle nach ihrer Fasson machen, was sie wollen und wie sie es wollen. "Nicht in die Angelegenheiten anderer Länder einmischen", war eine Leitlinie des ehemaligen Bundeskanzers Helmut Schmidt und für Asien sei "die Demokratie nicht die passende Regierungsform" (Spiegel, 21.5.2008).

Gesellschaftlich die moralische und dünkelhafte Überheblichkeit bestimmter Kreise, die soja essen, sich hanf einkleiden und Solarstrom tanken gegenüber Mitmenschen, die Currywürste vertilgen, aus Spaß zum Ballermann nach Malloca fliegen und sich vor kultureller Verdrängung ängstigen. Diese intellektuelle und moralische Hybris und auch sprachlich kleinkarierte Besserwisserei untergräbt jedes solidarische Gemeinwesen und führt geradewegs in eine Diktatur.

Individuell der allgegenwärtige Anspruch, ich bin geboren, ich weiß nichts, ich kann nichts, ich will auch nichts wissen, ich will auch nichts können, aber ihr, Staat, Politik, Gesellschaft, kümmert euch um mich, um mein Auskommen, um mein Wohlergehen, um mein Glück. Teufelswerk. Jedem soll und muss geholfen werden, der Hilfe benötigt und Hilfe zu schätzen weiß. Wo aber bleiben individuelle Selbstverantwortung und Selbstachtung? Eine Gesellschaft, ein Volk, das Mutlosigkeit und Opferhaltungen kultiviert und sogar belohnt, um ja allen zu gefallen und keinem etwas abzuverlangen, hat den Wettlauf um die besten Phantasien, Kreationen, Konzepte, Strategien, Erkenntnisse schon verloren.

Lesenswert dazu wie auch zu den immer lauter werdenden Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist ein Essay "Die neue Leistungsgesellschaft" von Wolf Lotter in dem Schweizer Magazin Brand eins, Oktober 2020, S. 38 ff. Nachdem Maschinen uns die schwere Arbeit abnehmen, schreibt er, glaubten wir, "dass sich die Sache (gemeint ist die Leistung, Anm. d. Red.) für uns damit erledigt hat." Damit erledigten wir uns aber selbst. Worum es gehe, sei, "nicht der Anstrengung auszuweichen, sondern sie zu suchen. Für unsere Selbstachtung müssen wir uns anstrengen."

Ich habe heute Geburtstag. Wie Udo Lindenberg, der bei meiner Geburt vermutlich gerade eingeschult wurde. Ich weiß nicht, wie lange ich noch leben werde. Hoffentlich nicht so lange, um die Folgen dieser genannten nationalen, gesellschaftlichen und individuellen Strömungen noch tragen zu müssen. Zum Geburtstag wünsche ich mir, dass die Sonnenstrahlen der Inspirationen von Udo Lindenberg, Marius Müller-Westernhagen und Otto Walkes in Hamburg, von Karl Dall, Ingo Insterburg und Jürgen von den Lippe in Berlin, von John Lennon, Joan Baez, Bob Dylan, Cat Stevens, Georg Büchner, Gerhart Hauptmann, Berthold Brecht, Picasso und allen anderen Freidenkern und Rebellen aus Musik, Literatur oder Malerei, zum Geburtstag wünsche ich mir, dass die Sonnenstrahlen der Kreativität all derer mich weiter wärmen, bevor die jakobinischen Schatten alles Leben diesmal grün verfinstern.

"I wasn't born to follow", sangen einst die Byrds. Sex, Chianti und 2 CV. Herrliche Zeiten. Sie durchströmen mich noch, wenn ich in meinem 190er Mercedes mit Janis Joplin, die aus dem Kassettenradio schräpt, der Abendsonne entgegen fahre.

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8. März 2021 1 000 Euro Spende für ein Frauenhaus
Weltfrauentag: Kein Zwang zu Mann und Kindern

Ausnahmsweise nicht Corona, Frauen, von morgens bis abends, in Bild und Ton, auf allen Kanälen, rauf und runter, mal wieder 8. Mai, mal wieder Weltfrauentag. „Was tun Sie für die Gleichberechtigung?“, auch die Leitfrage in der WDR 5-Redezeit am Mittag drehte sich natürlich nur um Frauen, mit Thomas Koch als Moderator und, welche Überraschung, Lisa Ortgies, die Frau von Frau-TV, als Kompetenztante.

Zwei Minuten vor Sendezeitende kam noch ein Mann zu Wort, ansonsten nur Frauen. Der übliche Strauß Klagen über die Schwere der Lasten fraulichen Daseins und das übliche Forderungsgezeter. Von allen Seiten mitfühlend und salbungstriefend bestätigt.

Als ein Internationaler Weltfrauentag 1911 zunächst am 19. März von politischen Sozialisten im Kampf um Gleichberechtigung und Wahlrecht erstmals vereinbart und zehn Jahre danach auf der Zweiten Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen in Moskau endgültig auf den 8. März festgelegt wurde, fußste diese Manifestation zweifellos noch auf schreiende reale Missstände. Davon kann heute, in Deutschland, keine Rede mehr sein.

Und was dieses leidige Gejammer wegen ungleich verteilter Haus- und Familienglücksarbeit und Kindererzieherei angeht, von schlimmen Sexualverbrechen einmal abgesehen, keine Frau in Deutschland wurde und wird seit Proklamation des Weltfrauentags je dazu gezwungen, mit einem Mann zusammenzuleben und Kinder zu kriegen. Lasst es doch einfach! Löst euch, macht euch locker, lebt euer Leben. Eigenständig. Allein. Mit Freundin. Mit Hund. Mit Katze oder Esel oder dem Heiligen Geist. Kein Schwein hindert euch daran. Frauen brauchen die Männer so wenig wie Männer die Frauen. Leben wir doch feinstsäuberlich getrennt. Teilen wir die Welt: eine Hälfte Frauen, die andere Hälfte Männer. Jede macht ihrs, jeder macht seins, und gut ist. Alles besser als dieses Arme-Frauen-Gezanke. Eine Welt ohne Altweibergeflenne, herrlich!

Und wenn ihr irgendwelche Gesetze ändern wollt, weil sie euch an irgendwas hindern, geht in die Partei, die das machen will, wählt die Partei, die das machen will, gründet die Partei, die das machen will, macht es einfach. So funktioniert Demokratie. Auch für Frauen. Mit Mehrheitsbeschlüssen im Parlament, nicht mit keifender penetranter Bevormundung und Belehrung der Männer nach der Devise: "sonst lernen die das nie", wie Susanne Henning-Welsow, eine der beiden neuen Parteivorsitzenden der Linken, nach Mitternacht in der Phoenix-Sendung Unter den Linden zum Weltfrauentag nochmal den verbalen Hammer schwang.

Der einzige Hörer in der Radioredezeit bei WDR 5 konnte seine Frauenversteherhymne in der ihm verbleibenden knappen Zeit nicht mehr zu Ende ausführen. Er hat seiner Frau schon vor Jahren, also im Prinzip von Anfang an jegliche Frauenleiden vom Hals gehalten und sämtliche Haushaltslasten mindestens gleichteilig auf sich genommen, so viel wurde immerhin klar. Also es geht doch!

Und zum Dauerthema Lohnungleichheit noch etwas: Ich spende 1 000 Euro an ein Frauenhaus, wenn mir irgendeine Frau einen in Deutschland gültigen Tarifvertrag vorlegt, in dem steht, dass eine Frau, weil sie eine Frau ist, für die gleiche Arbeit weniger Lohn erhält als ein Mann, weil er ein Mann ist.

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Foto: Rike / PIXELIO
Humanismus 4.0
Virensicherer Neustart eines zerhackten Programms

Von Walter Budziak

Am Beginn der historischen Neuzeit mit Aufklärung, Menschenrechten, sozialer Verantwortung und Freiheit der Wissenschaften lebten weniger als eine Milliarde Menschen auf der Welt, gegen Ende des 18. Jahrhunderts ca. 29 Mio. in Frankreich, 25 Mio. in Deutschland und 11 Mio. in England (Ernst Hinrichs, 1980). Die Vielfalt der Tiere und Pflanzen war kaum erfasst und erforscht. Literatur, Malerei, Musik, Philosophie erleuchteten die Weiten menschlichen Denkens.

Heute drängeln, konkurrieren, bekriegen, foltern sich bald sieben Milliarden Menschen auf einem zunehmend zerstörten, verkargten, verseuchten Globus. Heute hasten, stehlen, erpressen, morden sich "human beings" durch Slums, Unter- und Glitzerwelten, fristen in zunehmend verwahrlosten, verelendeten, verrohten, verschreckten Gesellschaften ihr Elend oder verprassen ihren Protz. In Gesellschaften, die nur noch als Beute von Profitsucht, Machtgier und Gewalt existieren. Von den respektvoll und begeistert erforschten Tier- und Pflanzenarten sind viele ausgerottet oder stehen kurz davor, ausgerottet zu werden. Bildung und Kunst verstummen im Getöse hochgepuschter Megahits, Shows und Events, versickern im Morast dumpfer medialer Berieselung.

Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt mehr als die restlichen 99 Prozent (Oxfam, Zeit Online, 19.1.2015). Bedarf es weiterer Hinweise, dass Humanismus und sein politischer Ableger Demokratie mit ihren antiken Vorbildern originär europäische Ideen waren, in ihrer visionären - und elitären - Kraft vom Ansatz her nur begrenzt, vielleicht gerade noch europäisch gesellschaftlich lebbar? Räumlich wie zeitlich?

Aufgeklärt betrachtet steht so etwas wie Humanismus nur auf dem Papier, harrt noch immer seiner Transformation in Fleisch und Blut. Die Grundregeln der Humanitas wie Milde, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Frieden, Freiheit, Recht, Solidarität oder Toleranz gelten seit je her global allenfalls als naiv, schwach, ja nahezu lächerlich, als Einladung zur skrupellosen Plünderung. Sie wurden von Beginn an nach innen und nach außen verraten und verkauft. Nach innen angefangen bei Robespierre gleich nach der französischen Revolution bis hin zu Berlusconi oder einem intriganten Sarkozy. Mit Industrialisierung, Kapitalismus, Imperialismus. Nach außen mit brachialem Kolonialismus, Militarismus, technokratischer Arroganz und Ignoranz. Von kriminellen Zynikern und kapitalistischen Bonzen gleichermaßen. Schrecklicher, brutaler als feudale, absolutistische Herrschaftsstrukturen es je vermocht haben.

Liegt alles nur daran, dass es nicht gelungen ist oder nicht gelingen sollte, die Menschheit von allem Religiösen und Moralischen zu befreien? Oder ging und geht es dem Humanismus wie dem Koran auch nur um Weltgeltung, Macht, Herrschaft, höhere Bestimmung? Nur mit schöngeistigeren, verklärteren, überheblicheren Phrasen?

Die bisherige humanistisch aufgeklärte Welt liegt im Sterben, physisch wie psychisch. Soll Humanismus über die Grenzen seiner gerade noch intakten sozialen, politischen und materiellen Komfortzonen hinaus weiterhin eine Domain beanspruchen im WWW der Radikalen, Extremisten, Islamisten, Salafisten, Dschihadisten, müssten kluge Köpfe das Programm neu starten, diesmal aber virensicher und verschlüsselt gegen jedweden inneren und äußeren Hackerangriff seitens Finanzspekulation, Korruption, Manipulation, Missbrauch des Gemeinwohls. Vor allem: Beim Humanismus 4.0 müsste ein entscheidender, bisher ausgeblendeter Faktor mit in den Programmcode. Der Mensch, wie er auch ist. Dumm, schwach, gierig, aggressiv, egoistisch, zerstörerisch.

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September 2013 Einmal verheiratet - immer geschieden
Die Logik öffentlicher Verwaltungsbürokratien

Von Walter Budziak

Die Hälfte aller Ehen in Deutschland enden inzwischen auch wieder vor dem Scheidungsgericht, so mal grob eingeordnet. Heißt, die Frauen und Männer, die das betrifft, kappen einen empfindsamen, auf jeden Fall aber auch rechtlich gewichtigen gemeinsamen Lebensabschnitt. Mit offenem Ausblick. Die einen stürzen oder stolpern in ihr nächstes Konfliktdilemma, andere machen erstmal Pause mit offiziell registrierten Beziehungsverbindlichkeiten und strampeln im Strom der grenzenlosen Lust- und Frustaffären, um sich dann irgendwann doch ein zweites, drittes, viertes Mal wieder auf ein vorbeitreibendes Ehefloß zu retten. Wieder andere werden aus Erfahrung klug und pflegen und genießen bis an ihr Lebensende die Freiheiten des weiblichen oder männlichen Daseins, ohne amtliche Stempel und Segen.

Viele andere Varianten sind denkbar und werden auch gelebt: Manche bleiben ihr Leben lang ledig, andere entscheiden sich für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften ohne oder mit Amtssiegel, eine Mehrheit der Biografien im mitteleuropäischen Raum dürfte jedoch nach beschriebenem Muster ablaufen. Nach landläufigem Verständnis und deutschem Sprachgebrauch hieße das als Familienstand ausgedrückt also erstmal ledig, dann verheiratet, dann wieder ledig, danach vielleicht ein zweites, drittes, viertes Mal verheiratet, dazwischen jeweils wieder ledig oder eben für den Rest des Lebens nie mehr verheiratet, also lebenslang ledig.

In deutschen Amtsstuben, Einwohnermeldeämtern beispielsweise, wiehern die Schimmel, wie in anderen europäischen Ländern allerdings auch, in einem anderen Takt. Da ist der Mann oder die Frau erstmal ledig und dann verheiratet. Lassen sie sich wieder scheiden, wären sie danach normalerweise wieder ledig. Aber Pustekuchen. Amtlich gelten sie stattdessen als geschieden. Bis die Vorhänge ihrer Leben fallen.

Dagegen hilft nichts. Kein Pochen auf eine Deutungshoheit am eigenen Familienstand, kein Pochen auf Datenschutz. Was geht es einen Stadtangestellten an, ob jemand vor 24 Jahren mal verheiratet war oder eben auch nicht? Könnte schließlich auch als Makel gedeutet werden. Bei der Abfrage nach einer Religionszugehörigkeit wird, wenn “keine” angegeben wird, auch nicht nachgefragt, ob jemals katholisch oder hinduistisch und wann aus der Kirche ausgetreten. Nichts hilft, auch kein Pochen auf ein Recht auf Gleichstellung (Ledige vortreten, ehemals Verheiratete abtreten), kein Pochen auf ein Recht an der eigenen amtlichen Biografie. Einmal geschieden, immer geschieden.

Rechtlich und amtlich läuft alles nach Vorschrift. Nach Melderechtsrahmengesetz. Eine plausible Antwort auf die Frage nach dem Sinn, nach dem Zweck, den die Ämter damit verfolgen, nach dem Vorteil, den sie davon haben, Fehlanzeige. Auch keine stichhaltigen Anhaltspunkte für den Verdacht, die Städte und Gemeinden schaufeln Geld in ihre lecken Haushaltskassen, indem sie im großen Stil haufenweise Datensätze an Werbeagenturen verscherbeln, damit die dann gezielter ihre Werbepfeile abschießen können.

Statistiker stecken dahinter. Bevölkerungsstatistiker. Zensus und Mikrozensus. International vernetzt und vernormt. Destatis, das Statistische Bundesamt, schreibt dazu: “Die Bevölkerungsfortschreibung weist als Familienstand ledig, verheiratet, geschieden oder verwitwet nach. Im Mikrozensus wird darüber hinaus zwischen verheiratet zusammenlebend (Ehepaare) und verheiratet getrennt lebend unterschieden.”

Desweiteren haben auch Soziologen ein waches Auge auf genau solche Daten. So konnte in einer britischen Langzeitstudie festgestellt werden, “dass sich Männer in Großbritannien nach einer Scheidung wirtschaftlich wesentlich verbesserten, Frauen sich hingegen verschlechterten. Diese Aussage trifft häufig selbst dann zu, wenn es sich hierbei nicht um Väter und Mütter, also um die Frage der Versorgung von Kindern, handelt.”

Eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: “Obwohl die Erwerbsbeteiligung von Haushalten Geschiedener leicht über der von Ehepaaren liegt, sind die Haushalte von Geschiedenen und Getrenntlebenden in den unteren Einkommensklassen deutlich überrepräsentiert. Geschiedene Männer sind von den negativen Effekten allerdings geringer betroffen als geschiedene Frauen.”

Schließlich lechzen auch Psychologen nach Datenströmen von Verheirateten und Geschiedenen. So wurden zur “Bedeutung von psychologischen Faktoren im Zusammenhang mit einer Scheidung” bereits reihenweise Themen wie “Partnerschaftszufriedenheit”, “Bindungsstil”, “beziehungsbezogene Selbstwirksamkeit”, “Glaube an die Partnerschaft”, “Partnerschaftsstress” oder “dysfunktionales individuelles Coping” (Bewältigungsverhalten einer als bedeutsam oder belastend empfundenen Situation oder einer Lebensphase) untersucht.

Bei allem werden die Datensätze auch der Meldebehörden sicherlich gern einbezogen und ausgewertet. Als Grundlage zur Bemessung irgendeines Anspruchs oder einer Leistung können sie hingegen kaum herhalten. Sonst wären die Stapel an Formularen zumindest teilweise überflüssig, die bei jedem beantragten Euro ausgefüllt werden müssen.

Immerhin haben selbst Statistiker gelegentlich ein Einsehen mit der Last einer lebenslangen Eingruppierung. So werden Witwen und Witwer zunehmend als Alleinstehende geführt.

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Juli 2012 Kulturfraktur
Benehmen to go

von Walter Budziak

Während seit jüngstem darüber spekuliert werden darf, ob sich Affen, in diesem Fall thailändische Weißhandgibbons, zu religiösen Gefühlen hinreißen lassen, geraten die Errungenschaften der menschlichen Zivilisation und Kultur offenbar immer mehr in Vergessenheit. Besonders betroffen und besonders auffällig: die Esskultur. Beobachten lässt sich das an jedem beliebigen Tag. Beim kaffeegenüsslichen Verweilen in der Fußgängerzone einer deutschen Stadt, auf Bahnhöfen, in der S-Bahn, U-Bahn und allen sonstigen öffentlichen Beförderungsmitteln, in den Aufzügen und Bürofluren von Unternehmen und Behörden, eigentlich überall.

Mindestens jedes dritte Exemplar der Spezie Mensch, das einem begegnet, gegenübersteht oder -sitzt, das an einem vorbeihastet, das einem überhaupt irgendwie auffällt, isst, stopft irgendwas in sich hinein, Brötchen, mit Schinken oder Käse belegt, Baguette, Frikadelle, Bratwurst, Fleischwurst, Hamburger, Cheeseburger, Blätterteig-, Quark-, Rosinenteilchen, überhaupt alles halbwegs Essbare, das sich in Tüten oder auf Pappschalen kaufen und mitnehmen lässt.

Allein die animalische Brutalität der Kaubewegungen bereitet dem von Ästhetik geleiteten Beobachter beinahe körperliche Schmerzen. An die Grenze zum Brechreiz getrieben wird die Qual, wenn Senf-, Mayonnaise- oder Ketchupschmiere auf Nasenspitzen oder Oberlippen klebt, das Kinn herunterrinnt, auf Blusen- oder Strickhemden tropft.

Was bei einigermaßen Normalgewichtigen noch irgendwie mit dem schnellen Stillen von Hunger zwischen zwei Terminen oder dem ersten Bissen nach einer langen Konferenz erklärt und notdürftig entschuldigt werden kann, bei vielen, eigentlich bei den meisten werden solche Anwandlungen einer an Verständnis grenzenden Hinnahme von schreienden Gedanken nach einer dringend angeratenen, mindestens halbjährigen Nulldiät geradezu weggesprengt.

Böswillige, jegliches Anstandsempfinden Hohn sprechende Körperverletzung liegt vor, wenn sich ein Arbeitskollege mit offenem Mund kauend im Büro vor dem Schreibtisch aufbaut und seine Schmatzlaute mit teilweise unverständlichen Sprechfetzen garniert. Dann rettet nur noch der Griff zum Telefonhörer und das Vortäuschen eines dringenden Telefonats, auch wenn keiner angerufen hat, vor dem sicheren Esskulturkollaps. Versperrt bleibt dieser Fluchtweg allerdings, wenn das Telefon klingelt und sich ein kauend Sprechender am anderen Ende der Leitung meldet. Dann trieft die zähe Schmatzsprechsoße direkt ins Ohr, verkleistert das Trommelfell, das panisch Notsignale an den frontalen Stirnlappen des Gehirns schickt, wo, je nach Veranlagung, Mord- oder Selbstmordpläne eingeleitet werden.

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