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ZWISCHEN HÖRSAAL UND WASCHSALON
Reihe 50 Jahre Studentenbewegung 1968 - eine Spurensuche
Studieren unter Vertrag

Text und Fotos (5): Walter Budziak, 20.9.2017

Protest, Demonstration, Rebellion - vor bald 50 Jahren bauten auf diesen drei Säulen viele Studentenkarrieren. Der Ansturm gegen die als verkrustet und heuchlerisch empfundenen politischen und gesellschaftlichen Strukturen traf auch Forschung und Lehre an den allesamt staatlichen Hochschulen. Heute unterzeichnen Studierwillige einen 14-seitigen Vertrag, bevor sie zum ersten Mal einen Seminarraum betreten, jedenfalls dann, wenn sie an der privaten Universität Witten/Herdecke (UW/H) studieren wollen. Schlaglicht auf eine Epochenwende.

"Wir profitieren von dem, was früher geleistet wurde", beschreibt Louis Jarvers den Blick heutiger Studierender auf die Vorgängergenerationen der sechziger und siebziger Jahre. Viele setzten sich mit politischen Fragen auseinander, nur zögen sie nicht mehr gegen die "großen Strukturen" zu Felde. Ihre Ambitionen zielten auf Mitsprache in den Gremien, wenn Studiengänge geplant, finanzielle Mittel verteilt, Professorenstellen vergeben werden.

Die Studierenden heute wollten "nicht alles entscheiden", sagt der 22-jährige Münchener, der vor vier Jahren nach Witten kam, um Philosophie, Politik und Ökonomie (PPÖ) zu studieren. Beteiligung stehe im Mittelpunkt des politischen Wollens und Handelns vieler Studierender. Als Mitglied des Vorstands der Studierendengesellschaft (SG) der Universität Witten/Herdecke kann er in dieser Hinsicht auch Erfolge aufzählen.

Auch im Senat reden Studierende ein Wörtchen mit

So organisieren und leiten ausschließlich Studierende den eingetragenen, 1995 gegründeten Verein, der nicht nur die Universität mit derzeit 10 Mio. Euro jährlich zum großten Teil finanziert. Seit 2001 gehören der SG auch 6,65 Prozent der Anteile der Universitätsgesellschaft. Als Miteigentümerin geben zwei SG-Vertreter in die Gesellschafterversammlung der Universität studentischen Belangen eine Stimme.

Auch im Senat, der alle wichtigen Weichen im universitären Ablauf stellt, reden Studierende ein Wörtchen mit. Sie stellen vier der insgesamt zwölf Mitglieder. Mit dieser "Sperrminorität" können sie einhaken, falls Wichtiges gegen ihre Interessen durchgesetzt werden sollte.

Abgesehen von diesen formalen und organisatorischen Fragen hätte in den letzten Jahren das politische Interesse der Studierenden aber auch allgemein zugenommen. Mit den vielen Krisenszenarien wie Zerfall der EU, Eurocrash oder Flüchtlingswelle sei auch eine "Politisierung" der Studentenschaft einhergegangen in der Weise, dass politische Standpunkte deutlicher betont würden, dass offensiver über politische Einstellungen diskutiert werde.

Größeren Wert auf Möglichkeiten und Chancen

Mit der Studentenbewegung vor 50 Jahren lasse sich das aber nicht vergleichen, sagt Jarvers. Nach seiner "völlig unpolitischen Jugend" seien diese Vorgänge für ihn "nur ein Stück Geschichte". Auch seine Eltern seien zu jung und hätten keine eigenen Erfahrungen aus der Zeit, die sie hätten weitergeben können. Die Ansichten und Absichten der damaligen Studentenbewegung, "die Nazivergangenheit abzuschütteln", diese Vergangenheit überhaupt erst einmal zu thematisieren und ihr neue Ideen und Gesellschaftsmodelle entgegenzuhalten, sehe er aber positiv. Nur spielten "diese großen Strukturen" im heutigen studentischen Alltag keine Rolle mehr. Die Studierenden heute profitierten von den aus den Protesten erwachsenen Errungenschaften, "wissen das aber oft nicht genug wertzuschätzen", weiß Jarvers.

Besonders die Studierenden der UW/H, und nur für die könne er sprechen, legten heute größeren Wert auf die Möglichkeiten und Chancen, die ihnen geboten würden. Daher auch die Unterschrift unter den 14-seitigen Vertrag vor Studienbeginn, der ein Studium ohne Kosten gewährleiste, im anschließenden Erwerbsleben aber zu Zahlungen an die SG verpflichte. Was auch rigoros kontrolliert werde. Die Absolventen müssen ihre Einkommen regelmäßig per Einreichen ihrer Steuerbescheide offenlegen. Ein "klassisches Solidarmodell" freut sich Jarvers, "die Absolventen bezahlen das Studium ihrer Nachfolger, und zwar anteilig ihrer finanziellen Möglichkeiten".

Management im Blut

Die Disziplin, die diesem Studienmodell zugrundeliegt, unterspült auch schon den Studienablauf. Obwohl noch in den Semesterferien ist das Tagespensum des Studenten Jarvers eng getaktet. Was er sich aber nicht anmerken lässt. Management scheint ihm im Blut zu liegen. Neben seinen Aufgaben als Mitglied des SG-Vorstands will er Ende Oktober seine Bachelorarbeit vorlegen. Thema: Schnittmengen zwischen Kommunalpolitik und Wirtschaft. Beleuchten will er mit seinen Auswertungen, wie Managementstandards der Wirtschaft von Kommunalpolitikern auf Kommunalverwaltungen regional unterschiedlich übertragen und umgesetzt werden. Fragen nach dem Nutzen solcher Vorgehen will Jarvers ebenso nachgehen wie Fragen, wie sich solche Prozesse auf das Leben der Bürger auswirken.

Seinen Master schreibt Jarvers anknüpfend auch im "Public-Management-Bereich", dann aber an einer Uni in Berlin, wo "der politische Puls schlägt". Politisch bewegte Studentenarbeit 2017.

Alle Beiträge der Reihe:
"Offene Räume", Interview mit Prof. Dr. Birger Pridddat, UW/H
Radfahren gegen Fahrpreiserhöhung und kein Protestbaden im Rhein
Anderer Anspruch an Aufbruch
Studieren unter Vertrag


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