Mit Daumen und gekrümmtem Zeigefinger in die Backe eines Schülers zu kneifen und zu drehen, bis man vor Schmerzen den Hals verrenkte,
war eine der Spezialitäten von Oberstudienrat Dr. Alois Knoblauch, Latein, bei der anderen misshandelte er statt der linken Wange
das linke Ohr. Dr. Knoblauch war Rechtshänder, Wahlspruch: „Watt 'en Kerl iss, iss 'en Lateiner.“
Jeglicher Wind aus den Segeln genommen
Oberstudienrat Werner Micke dagegen holte genüsslich verbal zum Schülerkinnschlag aus, vorzugsweise bei seiner Beurteilung am
Schuljahresende: „Wo Sie gehen, Herr D., entsteht keine Lücke.“ Das sind Macht missbrauchende Demütigungen und Verletzungen,
empfindsame Schülergemüter sind an so was zerbrochen.
Das Gymnasium heute 'würdigt' derartiges Unterrichtsgebahren auf seiner Internetseite zur Schulgeschichte mit einem Zitat des
damaligen Hamburger Schulleiters und späteren Oberschulrats Kurt Zeidler (1889 - 1982) zum Lehrerbild des frühen 20.
Jahrhunderts: „Der Lehrer wurde uns zum Sinnbild jener großen, fremden, drohenden Macht, der wir ausgeliefert waren mit Haut
und Haaren – ein Gefühl, gemischt aus Furcht, Hass und grenzenloser Verehrung.“ Einer Kritik an der dahintersteckenden
Brutalität wird auch gleich jeglicher Wind aus den Segeln genommen. Statt dessen heißt es schlicht: „Auf die damalige Art des
Unterrichtens und auf die Persönlichkeiten der Lehrer kann hier nicht näher eingegangen werden“.
„Harte Pflichttreue und rücksichtslose Gerechtigkeit"
Verständnis und Verzeihen schimmern sogar durch, wenn der norddeutsche „Reformpädagoge“ unreflektiert weiter zitiert wird.
Zwar sei manche Schülerfaust in der Tasche geballt und der Lehrer als „die Ursache mancher jungen Bitternis und argen Not“
(Kurt Zeidler) hingenommen worden, „im Grunde“ habe jedoch keiner etwas auf seinen Lehrer kommen lassen. „Alle wussten“,
darf Kurt Zeidler fröhlich weiter verherrlichen, „seine harte Pflichttreue und rücksichtslose Gerechtigkeit
zu schätzen und gewöhnten sich daran, seine herbe Strenge in Kauf zu nehmen.”
Bis zum Wandel der gesellschaftlichen Werte von „Gehorsam und Unterordnung“ (Zitat einer Umfrage von 1951) zu „ Selbständigkeit
und freier Wille“ Anfang der 1970er Jahre werden die Quälereien, die viele Schülergenerationen ertragen mussten,
fast zynisch wegchronologisiert mit ausführlichen Beschreibungen sämtlicher baulicher Veränderungen. Es bedurfte erst
neuer Lehrpläne, die „Selbständigkeit, Kritikfähigkeit und Kreativität der Schüler statt reines Auswendig
lernen (sic!) in den Mittelpunkt stellten“, was sich in den Schulbüchern bisweilen mit „Aufgabenstellungen wie 'diskutiere den
Sachverhalt' oder 'nimm kritisch Stellung' (...) in manchmal fast übertriebener Weise“ geäußert habe.
Im „schlaksigen Pullover-Jeans-Outfit“ durch Bankreihen und Schulflure
Auch die Lehrer sahen, so der ruhrgymnasialgeschichtliche Parforceritt weiter, plötzlich anders aus, unkonventionelle
Kurzhaar- oder zottelige Langhaarfrisuren statt „ kurze Haare und stramme Scheitel“, ließen „Schlips und Maßanzug“ im Schrank
und liefen im „schlaksigen Pullover-Jeans-Outfit“ durch Bankreihen und Schulflure. Ergebnis: „Das Ruhr-Gymnasium ist im Laufe
der Jahre zu einer nach heutigem Verständnis 'völlig normalen Schule' geworden.“
Von Februar 1966 datiert der letzte von 80 Einträgen von körperlichen Züchtigungen an einer Wittener Volksschule,
deren Namen das Stadtarchiv nicht nennen will. Auch die Namen der 77 aufgeführten gezüchtigten Schüler
im Alter zwischen sieben und fünfzehn Jahren gibt die Stadtarchivleiterin Dr. Martina Kliner-Fruck
nicht preis. Auf 17 Schulheftseiten außerdem handschriftlich festgehalten wurden Alter, Klasse, Datum, Strafmaß sowie
der jeweilige Anlass der Bestrafung, vom züchtigenden Schulmeister jedes Mal mit Unterschrift bestätigt, in
Einzelfällen vom Schulrat gegengezeichnet, wobei die männliche Bezeichnung nichts darüber aussagt, ob eine
Frau oder ein Mann den Rohrstock schwang.
Tafel weisungswidrig "ausgewischt"
Stockschläge auf Gesäß (Steiß) und Rücken waren das beliebteste Mittel der Wahl, von einem leichten bis zu acht,
je nach Schwere der Missetaten. Ein "leichter Schlag ohne Ziel" konnte aber auch als Zuchtmittel reichen, einmal setzte es
auch 'nur' eine Ohrfeige, ein anderer Zögling kam mit "4 Heftseiten abschreiben" davon.
"Hat Hausmeister ins Gesicht geschlagen" war 1948 die erste schulische Verfehlung, die mit handgreiflichen Sanktionen
geahndet wurde. Den letzten Stockschlag auf der Liste traf einen Erstklässler im Februar 1966, weil er die Tafel
offenbar weisungswidrig "ausgewischt" hatte. Ansonsten griffen die Nachkriegspädagogen schon mal gern wegen "wiederholtem Lügen"
zum Rohrstock oder wegen nicht erledigten Hausaufgaben, Rohheiten gegen Mitschüler oder "ständigem" Stören des Unterrichts.
Ein anderer Schulgänger hat dann auch mal einen Mitschüler geschlagen, die Schulordnung gestört oder war wegen "grobem Unfug auf der
Straße" in Ungnade gefallen.
Halbes Zitat einer abfälligen Äußerung
Mit einer Beleidigung einer Lehrerin konnte man sich als Schuldotz auch schon mal einen Stockhieb
einfangen wie auch mit "wiederholter Widerborstigkeit", Abschreiben oder Rauchen auf der Toilette. Drei Stockschläge
musste sich ein Schüler für Steinewerfen auf dem Hof bei seinem Lehrer abholen, für jemanden "mit Fuß ins Gesäß getreten"
waren ebenfalls drei Stockschläge fällig. Andere hatten die Unterschrift der
Eltern nicht vorgezeigt, sich offenbar unerlaubt vom Turnunterricht entfernt, waren vorlaut, albern oder ungezogen. Eine
körperliche Züchtigung wurde mit einem halben Zitat einer abfälligen Äußerung gerechtfertigt: "Der soll mich doch ...".
Niespulver verstreuen zog Prügelstrafen nach sich genau so wie einem "Vordermann Zirkelkasten weggenommen".
Gesetzlich wurden körperliche Züchtigungen in Schulen lange hingenommen. In Nordrhein-Westfalen wurde die körperliche Züchtigung in Schulen
zunächst nur durch Runderlass vom 22. Juni 1971 für unzulässig erklärt. Zwei Jahr zuvor, am 1. April 1969, war
sie in Hamburg endgültig abgeschafft worden. Bundesweit beschloss der Bundestag erst 2000 das "Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung".
Im BGB heißt es seitdem: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen
und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig." Schweden schaffte das immerhin schon 1979, Finnland folgte 1984.
In der DDR war die Prügelstrafe an Schulen dagegen längst seit 1949 verboten. (Wikipedia)
Streng und schrullig
An den "strengen und schrulligen" Lateinlehrer Dr. Alois Knoblauch
erinnert sich auch der frühere Herausgeber des Bommeraners, Werner Jacob. In seinem kleinen Buch „Der weiße Schimmel gehört
zu den Raubvögeln“ über seine Schulzeit am Ruhrgymnasium
von 1946 bis 1956 beschränkt er sich allerdings bewusst auf die eher humorigen Schrullen des Philologen. Von seinen Schülern „Ali“ genannt,
habe dieser sich nicht mit der Anrede „Herr Knoblauch“ zufriedengegeben. „Das heißt entweder Herr Doktor oder Herr Stodienrat!“
Lehrer „Ali“, der seine Schüler „Känderchen“ nannte, habe auch keine Gelegenheit verpasst, um darauf hinzuweisen, dass in seiner Heimatstadt Königsberg
einst weltbekannte Geistesgrößen lebten – „Kepler, Kant, Kopernikus!“
"Besonders an Schul- und Bildungsfragen interessiert"
Der Ohrfeigen austeilende Oberstudienrat Friedrich-Karl [?]... oder Karl Friedrich, mit oder ohne Bindestrich, je nach Quelle.
Kreuger saß vor, zwischen oder nach seinen Unterrichtsstunden in Deutsch und Erdkunde
auch im Stadtrat, wahrscheinlich von 1961 bis mindestens 1974. Auf dem Kandidatenplakat des Kreisverbands Witten der SPD wird der 33-jährige
Studienassessor Kreuger für den Wahlbezirk 13 als "besonders an Schul- und Bildungsfragen interessiert" vorgestellt. Neun Jahre später
kandidiert der inzwischen 42-jährige Oberstudienrat für den Wahlbezirk 9, Wullenstadion, schon als Vorsitzender des Stadtbeschlussausschusses.
Altbürgermeister Klaus Lohmann, der damals auch seine Politikerkarriere im Stadtrat startete, erinnert sich an den Parteigenossen Kreuger
vom SPD-Ortverein Königsholz auch als Mitglied im Schulausschuss.
"Geschichten rund ums Ruhrgymnasium" bis heute "in manchen Köpfen tief verwurzelt"
Heute leitet Dirk Gellesch das ehemalige Städtische Ruhrgymnasium. Im Augenblick sehe er keinen Anlass, dem Thema "Schlagepädagogik" konkret
nachzugehen. Sollten sich jedoch Betroffene melden, werde er sich der Verantwortung seiner Vorgängerkollegien stellen, sagt Gellesch, erst seit März 2019
an der Spitze des RGW: "Wenn es etwas zu entschuldigen gibt, werde ich das tun." Er selbst habe einige Jahre die RGW-Schulbänke gedrückt, auch von daher
kenne er viele "Geschichten rund ums Ruhrgymnasium" und wisse um den Ruf, der "bis heute in manchen Köpfen tief verwurzelt" sei.
Die Handgreiflichkeiten der Lehrkräfte am Ruhrgymnasium bis 1970 hat der Autor selbst nicht erlitten - aber drastisch miterlebt. Mehrere Aufrufe
in einem lokalen Anzeigenblatt an weitere Zeitzeugen blieben unbeantwortet. Kontakte zu und Fragen an die genannten Lehrer waren nicht möglich,
Spuren ihrer Verbleiben nicht aufzufinden. Damit soll die Geschichte aber nicht enden. Der Text wird fortgesetzt werden. |
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